DEMONTAGE IX, UNTERNEHMEN STAHLGLOCKE
DEMONTAGE IX – OPERATION STEELBELL
Deutschland 1991, 25 Min
Cast: Wolfgang Flatz, Koka Ramischwilli, Iran und Asis Khadjeh-Nouri
Regie, Produzent: Romuald Karmakar
Koproduzent: Wolfgang Flatz
Produktionsleitung: Harald Will
Fotografische Leitung: Bernd Neubauer
Kamera: Reiner Lauter, Anette Haellmigk, Roger Heereman
Kameraassistenz: Olaf Wildenhaus, Philipp Geigel
Ton: Klau-Peter Kaiser, Walter Tietze
Licht: Peter Hartl, Florian Süßmayr
Schnitt: Birgit Lorenz
Produktionsfirma: Romuald Karmakar (München)
Format: 16mm, 1:1,33
Bild/Ton: Farbe, Ton
WP: Oberhausen Int. Short Film Festival, German Competition, 01.05.1992
Verleih / Vertrieb / Pantera Film GmbH
HONORS / AWARDS
1991 Förderpreis der Stadt München
IFF Oberhausen 1992, Preis für den besten deutschen Kurzfilm
SYNOPSIS
Verfilmung der Aktion "Demontage IX" von FLATZ in einem Filmstudio.
ZUM FILM
DEMONTAGE IX dokumentiert eine Performance, die ans Selbstmörderische grenzt. Zwischen zwei Metallplatten baumelt kopfüber ein Körper. Ein "Glöckner" setzt den Körper am Seil in Bewegung, bis er mit den stählernen Wänden kollidiert. 11 Minuten lang bringt das Pendel die "Stahlglocke" zum Tönen. Solange hält sich die Kamera auf Distanz. Es bleibt ungewiss, ob es sich um einen Menschen oder um eine Puppe handelt. Der Blick des Betrachters, der sich kein Bild vom Ausmaß seines Unbehagens machen kann, ist ungeschützt wie selten im Kino. Vor der Konstruktion aus Fleisch und Stahl nimmt ein Paar Haltung an. Acht Minuten lang tanzen die beiden iranischen Europameister Walzer.
Der Walzer als kleinbürgerliche Einstimmung aufs faschistoide "Wunschkonzert" hat in der deutschen Filmgeschichte einen Ton angegeben, der bis heute nachklingt. Die Sentimentalität, die sich beim Walzer in Gang setzt und während des Nationalsozialismus über Leichen hinwegging, ist so offensichtlich, dass sie als Kontrastmittel eigentlich nicht mehr taugt. Aber die Performance zielt auf die Überdehnung der sentimentalen Bewegung. In der Wiederholung der Tanzschritte zeigt sich die nackte Anstrengung. Der hartleibige Ritus der Gewalt und_ das Ritual der leichtfüßigen Beschönigung zehren gleichermaßen an den Körpern, das ist der eigentliche Affront. Ein dritter Abschnitt, der über das Abfilmen der Performance radikal hinausgeht, setzt das Auspendeln des Körpers mit der Musik in Verbindung. Die Musik macht den Anblick erträglich: Es sind diese präzis inszenierten Momente der (Selbst-)Manipulation, denen mit Empörung wiederum nicht beizukommen ist. Nicht der Film ist ein Skandal, sondern die Leichtigkeit, mit der sich Wahrnehmung und Wertigkeiten beeinträchtigen lassen. Nach zwanzig Minuten wird der Körper eines jungen Mannes vom Seil genommen. Dass in der Debatte um den Film allzu selbstverständlich von einer "Kreuzabnahme" die Rede war, bezeugt nur, in welchem Maße das Augenmerk auf die sinnstiftenden Codices der Kunst, der Geschichte, der Kunstgeschichte fixiert ist. Der Mythos der Gewalt und der Gewalttätigkeit sind Grundmuster der Performance, so wie Karmakars Kamera letztlich zur Entmythisierung des Geschehens beiträgt. Der Moment der Erlösung wird in der Wiederholung profanisiert. Zweimal (und aus unterschiedlichen Kameradistanzen) zeigt Karmakar, wie der Körper vom Seil genommen wird.
Moralischen oder existenzialistischen Deutungen macht der Film keinen Mut. DEMONTAGE IX liefert kein Argument gegen Gewalt und Folter. Nicht, weil Karmakar indifferent wäre. Seine Neugierde gilt dem, was sich noch (auf-) zeigen lässt, nicht der Gewissheit, sondern der Unstimmigkeit. – Blicke, die nicht richten. Die Filme von Romuald Karmakar. Von Heike Kühn, epd Film, 03/1993 (Auszug).
Ohne Autorennennung online erschienen beim Akademischen Filmkreis Karlsruhe