MARCEL OPHÜLS (1927-2025)

 

Interview Marcel Ophüls mit Otto Kranzbühler (Verteidiger von Großadmiral Dönitz/Nürnberger Prozess), in “Memory of Justice”, 1973-1976

Ophüls:
Sprechen sie manchmal über Nürnberg mit ihren Kindern?

Dr. Kranzbühler:
Ich habe das sehr viel getan in der Zeit, in der die Kinder, die heute alle über 30 sind, um 20 herum waren. Wir haben sehr viel diskutiert und sie haben mir natürlich immer wieder die Frage gestellt: Weshalb hast du eine solche Verteidigung übernommen? Was hast du selbst im Kriege getan? Was hast du selbst von alledem gewußt, was vorging? Und nach vielen endlosen Diskussionen habe ich schließlich eine Formel gefunden, die sie befriedigt hat. Ich habe ihnen nämlich gesagt: entweder habe ich von all den kriminellen Dingen, die vor sich gingen, nichts gewußt. Dann war ich ein Trottel. Oder ich habe etwas gewußt, dann habe ich entweder mitgewirkt, dann war ich ein Verbrecher. Oder ich habe nichts dagegen unternommen, dann war ich ein Feigling. Ihr könnt also wählen, ob euer Vater entweder ein Trottel oder ein Feigling oder ein Verbrecher war.

Damit haben sie sich dann beruhigt.

Ophüls:
Kleine Gedenkpause. Wieso würde das ihre Kinder, vorausgesetzt, dass sie an ihrem Vater hängen, beruhigen oder befriedigen?

Kranzbühler:
Weil sie wohl der Meinung waren, dass alle drei Alternativen, so wie sie mich kennengelernt haben, nicht so sehr wahrscheinlich sind.

 
 

“Mein Film handelt selbstverständlich nicht vom Holocaust und ist auch keine Biographie eines Verbrechers gegen die Menschlichkeit. Er ist im wesentlichen ein Film über das Verhaten der anderen angesichts dieser Karriere: über Ekel, Komplizenschaft, berechnende Gelichgültigkeit. Wie verhalten sich die anderen (Nachbarn, Mittäter oder Opfer) gegenüber jenem Mann, den man da nach Lyon zurückgebracht hat und der ohne Zweifel der letzte große Naziverbrecher ist, dem man zu seinen Lebzeiten noch den Prozeß machen konnte …”

Marcel Ophüls, “Lettre à Simon Mizrahi” (Mai 1988, Pressedossier zu HOTEL TERMINUS)

 
 

“Seit ein paar Jahren weiß ich, dass General de Gaulle selbst dafür sorgte, dass der Film
nicht ins französische Fernsehen kam. Als der Fernsehintendant dem pensionierten Staatschef meldete, der Film enthielte »gewisse Wahrheiten« über die Besatzungszeit, antwortete er empört ... laut Augenzeugen: ‘Wahrheiten? Frankreich braucht keine Wahrheiten. Frankreich braucht Hoffnung.’ Eigentlich eine schöne und imponierende Antwort. Aber der General und ich haben nicht denselben Beruf.”

Marcel Ophüls, 1997, Addendum zu Marcel Ophüls, “Regardez donc dans vos greniers” (Juli/September 1972, L’Avant-Scène du Cinéma, Nr. 127/128).

 

Beide Textzitate sind erschienen in Marcel Ophüls, “Widerreden und andere Liebserklärungen – Texte zu Kino und Politik”, Hg. von Ralph Eue und Constantin Wulff, Berlin 1997 (Vorwerk 8)